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Freiburger Kammerchor ehrt Komponistinnen im Verdener Dom

Autor:in
Susanne Ehrlich
Quelle
Weser-Zeitung
12.05.2024
Konzert
eve(n)song

Der Verdener Dom hat sich beim Evensong zu einer Bühne für weibliche Komponisten verwandelt. Der Freiburger Kammerchor präsentierte ein beeindruckendes Spektrum an musikalischen Stilen und Ausdrucksformen.

Der Evensong hat im Verdener Dom bereits einige Tradition, doch diesmal war alles ein wenig anders. Mit dem Freiburger Kammerchor unter Lukas Grimm und der Organistin Julie Pinsonneault wurde diese meditative Abendmusik zu einem hoch interessanten Querschnitt durch das Werk von Komponistinnen aus zwei Jahrhunderten mit einer Vielfalt von musikalischen Ausdrucksformen und kunstvollen Stilmitteln.

Bereits der Titel verriet durch ein Sternchen nach der "Eve", dass sich hier einmal nur Frauen musikalisch zu Wort melden sollten. Psalmengesänge, Chorlieder und neutestamentarische Lobgesänge sind Bestandteile des in der anglikanischen Kirche verankerten Evensongs. An diesem Abend gab es auch einige Messesätze und ein nicht-biblisches Klagegebet, fast alle komponiert von professionellen Komponistinnen, die zum Teil auch auf große internationale Karrieren blicken können.

SPANNENDE EFFEKTE

Der erste Teil wurde von der Empore der Romanischen Orgel gesungen. Von Libby Larsen, 1950 geboren und eine der derzeit einflussreichsten Komponistinnen Amerikas, erklang "I will sing and raise a psalm", ein Werk, das mit beständigem Changieren zwischen den Tongeschlechtern mit zwischenzeitlich völligem Verlassen der Tonalität einen sehr rauen und umwölkten Charakter besaß.

Spannende Effekte schuf die 1968 geborene britische Komponistin Roxanna Panufnik. Ihre a cappella gesungene "Douai Missa Brevis" mit dem kurzen, reizvoll harmonisierten Kyrie und einem durch faszinierende Echo-Wirkungen und eine geradezu wogende Dynamik bestechenden Gloria zeugte von kompositorischer Finesse und forderte dem Chor ein hohes Maß an Differenzierung und Stimmdisziplin ab.

Amy Beach (1867 bis 1944) war die erste wirklich erfolgreiche amerikanische Komponistin, deren Schaffen und Lernen von ihrem Ehemann unterdrückt wurde. Nach seinem Tod erst legte sie richtig los. Ihr "Te Deum" entstand 1904/1905 und spiegelt die Kompositionsweise anglikanisch geisterlicher Musik wider. Frauen- und Männerstimmen besaßen hier alternierende Aufgaben, die Frauen erhielten extrem hohe Stimmpassagen, die manchmal einige Mühe zu bereiten schienen.

COLLAGE AUS KREUZINSCHRIFT UND PSALM

"Vita Mundo" von der 1951 geborenen britischen Komponistin Cecilia McDowall ist eine Collage aus einer lateinischen Kreuzinschrift, gesungen im Stil der Gregorianik, und Auszügen aus dem 127. Psalm, dessen Text nicht unbedingt typisch für eine weiblich geprägte Betrachtungsweise schien: Er dankt dem Herrn für das Geschenk möglichst vieler Söhne, die "wie Pfeile in der Hand des Kriegers" sein sollen.

Mit dem "Psalm 84" hat die 1982 geborene Amerikanerin Caroline Shaw, die für eine enorme stilistische Bandbreite berühmt ist, eine ganz eigene Klangwelt erschaffen. Ruhevoll, meditativ und mit lang nachhallenden Echos sorgte sie für einen großen musikalischen Moment.

RASSISMUS UND GEWALT

Ein wunderschönes, zartes Orgel-Adagio der Amerikanerin Rachel Laurin (1887–1953) leitete den zweiten Teil ein. Nun wechselte der Chor in die Vierung. Der Klagegesang "Resignation" von der sehr bekannten amerikanischen Komponistin Florence Price (1887–1953) zeugt von einem typischen von Rassismus und Gewalt geprägten Frauenschicksal in den Südstaaten. Trotz ihres Durchbruchs in den 30er-Jahren, unter anderem mit der Sinfonie in e-Moll, die bei der Weltausstellung in Chicago erklang, blieb sie nach ihrem Tod lange vergessen. "Resignation" ist nach Art eines Spirituals komponiert und von bestürzender textlicher Eindringlichkeit.

Sehr kurz, aber besonders eindrucksvoll war das bewegende, tatsächlich aus der Tiefe rufende "De profundis" der Schweizerin Martha von Castelberg (1892–1971). Mit Judith Weir (geboren 1954) erlebte das Publikum dann die allererste weibliche "Master of the Queen's Music" Großbritanniens, die nun auch noch bis zum Jahresende im Dienst von King Charles steht. Ihre sehr zurückgenommene, dunkle Psalm-Meditation "The True Light" lässt die geistliche Botschaft sozusagen von unten leuchten.

DYNAMISCHE MEISTERLEISTUNG

Überraschend und alles andere als alltäglich war "Lume-Ljus" ("Licht") der Schwedin Andrea Tarrodi (geboren 1981). Ihr Werk, dessen Text nur das eine einzige Wort umfasst, erschafft ein Klanggebäude mit meisterhaft konstruierter Hall-Wirkung, niemals abreißend, sich ständig neu bildend und changierend, sodass man kaum fassen konnte, dass es nur aus menschlichen Stimmen bestand – eine erstaunliche dynamische Meisterleistung des Chores.

Aus dem Jahr 2022 stammt das neueste Werk des Abends, "Worthy is the Lamb" der 1970 geborenen Britin Joanna Marsh mit zweigeteiltem Chor und Orgel, die sich zumeist nicht mischten sondern aneinander rieben und ein eindringliches Bild des gequälten und gemarterten "Lamm Gottes" ergaben.

Spannende Klangeindrücke, eine bis auf einige Intonationswackler in den Höhen beeindruckende Choreistung und eine einfühlsame und virtuose Organistin machten den Evensong mit dem Freiburger Kammerchor zu einem überaus lohnenden Konzertereignis, das vom Publikum mit langem Beifall belohnt wurde.

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